28.08.25 – BDKH Trendbericht 2025

Das Ende der Komfortzone

Obwohl Händler und Hersteller generell mit strukturellen Schwierigkeiten zu kämpfen haben, beweisen neue, erfolgreiche Trends, Produkte und Kooperationen, dass in Krisen auch Chancen stecken und der Einfallsreichtum der Branche auch jenseits der Komfortzone hoch ist. Der Bundesverband Deutscher Kinderausstattungs-Hersteller e.V. (BDKH) gibt einen Überblick zur Lage.

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Die Händler und Hersteller unserer Branche kämpfen mit strukturellen Schwierigkeiten, finden laut BDKH aber kreative Lösungen. © Hiba/KI generiert

 

Kein Zweifel: Die Krise in der Baby- und Kinderausstattung hat sich fest eingerichtet. Sie ist einerseits branchenbezogen, spiegelt zum großen Teil aber auch die strukturelle Schieflage eines Landes wider, das sich im achten Jahr der Rezession befindet. Mittlerweile ist der Krisenmodus leider „das neue Normal“ geworden. Erschwerend kommen fast im Jahrestakt unvorhergesehene Faktoren dazu, die der Stabilisierung entgegenarbeiten. Nach Corona und dem Ukraine-Krieg folgten Inflation und Preissteigerungen und wirken bis in die Gegenwart hinein. Aktuell kämpfen Politik und Industrie zudem mit den erratischen Beschlüssen der USA zur Höhe der Handelszölle. Dazu kommen ein unerbittlicher Kriegstreiber im Osten Europas und nicht zuletzt das Erstarken von politischen Rechtsaußen-Positionen im eigenen Land mit der Ablehnung europäischer Institutionen.

Omnichannel gehört die Zukunft

Der Handel hat seine ganz eigenen Baustellen: leere Innenstädte und fehlende Kundenfrequenz, steigende Lohnnebenkosten und ein Fachkräftemangel, der sich negativ auf die Beratungsqualität niederschlägt. „Gute Flächenkonzepte können aber nach wie vor bei den Konsument:innen punkten, insbesondere wenn sie in eine attraktive Umgebung eingebunden sind“, analysiert Dr. Kai Hudetz, Geschäftsführer des IFH Köln. Doch es sind die Omnichannel-Konzepte, denen die Zukunft gehört, denn Online wird auch weiterhin zu Lasten der Flächen-Umsätze gewinnen, so die Prognose. Rund zwei Drittel des gesamten deutschen Onlinehandels entfällt auf Amazon und den Marketplace. Auch die Asia-Plattformen Temu und Shein sind 2023 und 2024 gewaltig gewachsen, stagnieren jedoch aktuell bei Kauf- und Bestellhäufigkeit, so Hudetz. Sie sind ein Dorn im Auge hiesiger Hersteller und Händler. Über die Plattformen gelangen täglich tonnenweise nicht-konforme Produkte direkt zum Endkunden. Billigware aus Fernost stellt besonders für Kinder eine Gefahrenquelle dar und gräbt noch dazu den heimischen Unternehmen den Umsatz ab. Der BDKH sieht hier dringenden Handlungsbedarf beim Gesetzgeber, um Konsumenten zu schützen und einen fairen Wettbewerb zu gewährleisten.

Preis schlägt Nachhaltigkeit

Temu & Co. sind wegen ihrer Rabattaktionen bei den Konsumenten beliebt – besonders bei den 18- bis 29-Jährigen. Die Deutschen sind preissensitiver geworden. Mehr als ein Drittel der Konsumenten hat 2024 weniger konsumiert als 2023. Allein für die Babyerstausstattung zahlen werdende Mütter und Väter laut Statista insgesamt rund 3350 Euro. Bei steigender Kaufkraftminderung und einer Arbeitslosenquote, die zuletzt vor 14 Jahren ähnlich hoch war, ist das Thema Nachhaltigkeit v. a. dann relevant, wenn der Preis stimmt. Im Zuge dessen gewinnen auch Mietmodelle an Relevanz. Der B2C-Secondhand-Markt weist inzwischen ein jährliches Volumen von mehr als 15 Mrd. Euro auf und wird laut der Prognose des IFH Köln in den nächsten Jahren weiter anwachsen.

D2C is king

Es lohnt sich, nah an einer Zielgruppe zu sein, die sich oft und schnell wandelt. Händler und Plattformen allein reichen nicht mehr aus, um Sichtbarkeit und Marktbindung sicherzustellen. „Junge Eltern informieren sich heute digital, vergleichen intensiver und entscheiden oft schon, bevor sie überhaupt einen Händlerkontakt haben.“ Das ist die Erfahrung von Alex Weise, Gründer von HowTo Marketing. Die strategische Marketingagentur arbeitet mit Family Brands und setzt v. a. bei der direkten Ansprache der Endkunden in Vertrieb und Marketing an. „Wer hier fehlt, wird mittelfristig vergessen, auch wenn das Produkt hochwertig ist.“

Traditionsmarke? Kenn ich nicht!

Diese Erfahrung bestätigt auch Isabel Dehmer, CEO bei der QuaTestio GmbH, dem Unternehmen hinter Hebammen-testen.de; ein Online-Portal für Hebammen-Marketing. Mit mehr als 10.000 Hebammen werden Produkte für Schwangerschaft, Babys und Kleinkinder auf Herz und Nieren getestet und Marketing- und Kommunikationsstrategien umgesetzt. Dehmer hat festgestellt, dass die Markenbekanntheit von so manchem Traditionshersteller merklich nachgelassen hat. „Da sehe ich gerade eine Verschiebung. Hebammen legen Wert auf Kommunikation und die jungen Hebammen brauchen diese auch auf eine andere Art und Weise; sie haben andere Touchpoints.“ Und werden dort offensichtlich nicht angesprochen. Das machen dafür andere. „Es kommen viele (junge) Hersteller nach, die einen richtig guten Job machen. Obwohl der Markt noch umkämpfter ist als früher. Sie machen aus dem Risiko heraus Chancen und entdecken mittendrin die Lücke.“

„Never waste a good crisis“

… sagte schon Winston Churchill. Und so ist an allen Ecken Bewegung in der Branche. Neue Wege werden gesucht, um auf veränderte Bedingungen zu reagieren. Auch die Industrieverbände der Branche arbeiten verstärkt zusammen: „Die bestimmenden Themen der Babyaustattungsbranche sind mittlerweile im europäischen Kontext zu sehen und anzugehen. Die Überflutung des Marktes mit minderwertigen Produkten durch asiatische E-Commerce Plattformen, die Produktsicherheit oder die sinkende Geburtenrate betreffen alle Länder in Europa“, sagt Michael Neumann, Geschäftsführer des BDKH. „Insofern ist für uns nicht nur der intensive Kontakt mit unseren Mitgliedern in Deutschland und Österreich sehr wichtig, sondern auch der Austausch mit anderen europäischen Verbänden. Mit ihnen wird der BDKH im Rahmen der europäischen Dachorganisation ENPC, der European Nursery Product Confederation, in Zukunft enger zusammenarbeiten und den bisherigen Fokus – die Erarbeitung von Qualitäts- und Sicherheitsnormen – erweitern.“

Emotionale Ansprache, Quality-Time und Wellbeing

Und auch wenn sich Paare seltener für Nachwuchs entscheiden – ihre Ansprüche sind „deutlich gestiegen“, stellt Jesper Frandsen fest. Der Geschäftsführer von Tradewell, einem Distributor für innovative Baby- und Kinderprodukte, hat beobachtet, dass „das emotionale und mentale Wohlbefinden von Müttern, Vätern und Familien an Bedeutung gewinnt“ und sich dies in einem stärkeren Fokus auf Themen wie Wellbeing und Quality-Time niederschlägt. „Eltern wünschen sich Produkte, die nicht nur funktional sind, sondern auch das emotionale Wohlbefinden ihrer Kinder fördern und eine ruhige, sichere Umgebung schaffen.“

Auch nachts wünschen sich Eltern mehr Nähe zu ihrem Kind. Der Schlafplatz soll dennoch Sicherheit bieten. „Die Zeiten, in denen Babys ausschließlich im Gitterbett schlafen, sind vorbei. Heute gestalten Familien das Schlafumfeld ihrer Kinder bewusster, entwicklungsorientierter und natürlicher“, berichtet Daniela Ortner, Marktingleitung bei Träumeland. Hochwertige, punktelastische Matratzen, die Babys Halt bieten, die Wirbelsäule entlasten und eine gute Luftzirkulation fördern, sind bereits ab Geburt und für den Transport im Kinderwagen die Norm. Zuhause favorisieren junge Eltern das Co-Sleeping in Kombination mit einem Beistellbett. Deutlich schneller wechseln Kinder danach oft in ein größeres Bodenbett, das einen selbstbestimmten Zugang ermöglicht.

Kundenansprache und KI

Um dem Wunsch moderner Mütter nach mehr Flexibilität entgegenzukommen, ist bei den Milchpumpen der Trend zu tragbaren Modellen erkennbar, berichtet Anja Naber, Associate Director Marketing bei Lansinoh Deutschland. Für die stärkere Bindung und Identifikation mit den Produkten werde auf eine persönlichere und emotionalere Ansprache der Kundinnen und Kunden gesetzt. Dabei gewinne auch TikTok weiter an Bedeutung. Und auch die smarte Vernetzung von Produkten mit Sensoren, die Prozesse überwachen und uns Informationen vorzugsweise an das Smartphone senden – Internet of Things (IoT) genannt – wird in der Kinderausstattung zukünftig für noch mehr Sicherheit eingesetzt.

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