30.09.25 – Interview mit Steffen Kahnt, BVS
„Der Handel darf Ware ohne Zeitlimit abverkaufen.“
Die neue EU-Spielzeugverordnung steht kurz vor ihrem Inkrafttreten. Was bedeutet das für den Einzelhandel? Wir haben mit Steffen Kahnt, Geschäftsführer des Bundesverband des Spielwaren-Einzelhandels e.V. (BVS), über aktuelle Herausforderungen, unfaire Wettbewerbsbedingungen und einen mega Erfolg für den Handel gesprochen.
das spielzeug: Herr Kahnt, Sie haben sich kürzlich für einen Händler stark gemacht, gegen den die Bundesnetzagentur Bußgelder verhängt hat. Was war da los?
Steffen Kahnt: Der Händler hat Spielzeug verkauft, das technisch völlig in Ordnung war – kein einziger Mangel an den Produkten selbst. Das Problem: In den Verpackungen einiger Markenhersteller fehlte z. B. die CE-Kennzeichnung auf dem Produkt. Die Ware kam von bekannten deutschen Lieferanten, mit denen der Händler seit Jahren arbeitet. Importiert oder produziert hat er selbst gar nichts. Trotzdem sollte er jetzt dafür zahlen.
das spielzeug: Und das ist unüblich?
Steffen Kahnt: Absolut. Nach unserem Wissen ist das das erste Mal, dass ein Händler für einen Fehler seines Lieferanten haftbar gemacht wird, obwohl er alles tut, was vernünftig und machbar ist. Unser Mitglied nimmt stichprobenartig Produkte aus den Regalen, prüft Verpackungen auf CE-Zeichen und ob Herstelleradressen angegeben sind. Und wenn es mal Beanstandungen gibt, werden die Produkte sofort aus dem Verkauf genommen und der Hersteller schriftlich informiert. Das ist gelebte Sorgfaltspflicht.
das spielzeug: Die Behörde sieht das offenbar anders. Warum?
Steffen Kahnt: Man beruft sich rein formal darauf, dass das Gesetz keine Ausnahmen vorsieht. Das mag juristisch sauber sein, ist in der Praxis aber blanker Irrsinn. Wollen die ernsthaft, dass ein Händler mit 5000 bis 50.000 Artikeln im Sortiment jede einzelne Verpackung aufreißt, um sicherzugehen, dass innen alles stimmt? Danach kann er die Ware wegwerfen, weil sie nicht mehr verkaufsfähig ist. Das ist weder wirtschaftlich tragbar noch ökologisch zu verantworten.
das spielzeug: Was fordern Sie stattdessen?
Steffen Kahnt: Produktmängel müssen beim Erstinverkehrbringer – also beim Hersteller oder Importeur – verfolgt werden. Dort liegt die Verantwortung, nicht beim Händler, der weder den Mangel verursacht hat noch realistisch die Chance hat, ihn zu entdecken, ohne sein Geschäft zu ruinieren.
das spielzeug: Ihr Fazit?
Steffen Kahnt: Wenn man Paragraphen wichtiger nimmt als die Realität im Handel, trifft das am Ende Tausende Betriebe, die jeden Tag sorgfältig arbeiten. In diesem Fall geht das geltende Recht klar an der betrieblichen Praxis vorbei.
das spielzeug: Ein anderes Beispiel für fehlende Fairness sind die Fernost-Plattformen, die massenweise Ware direkt nach Deutschland bringen.
Steffen Kahnt: Ganz genau. Hier wird ein Händler abkassiert, weil in der verschlossenen Verpackung eines Markenherstellers die CE-Kennzeichnung auf dem Produkt fehlt – und gleichzeitig kommen Container voller Ware aus Fernost an, ohne dass jemand überhaupt hinschaut. Das ist, als würde man bei einem deutschen Mohnbrötchen jedes einzelne Mohnkorn zählen – und bei einem Sack Mehl aus China nicht mal prüfen, ob da überhaupt echtes Mehl drin ist.
das spielzeug: Heißt das, für asiatische Händler und Plattformen gilt ein anderes Recht?
Steffen Kahnt: Ja, für viele China-Händler ist europäisches Recht praktisch nur Deko auf dem Papier. Verstöße lassen sich dort kaum verfolgen. Die Plattform sitzt in der Volksrepublik, die Verkäufer auch. Hier gibt es keinen, den man haftbar machen kann. Fairness gibt es erst wieder, wenn für jeden dieser Händler ein Verantwortlicher in der EU haftet. Solange das nicht so ist, ist es ein Hohn, dass unsere Händler für Lappalien bluten, während bei China-Importen beide Augen zugedrückt werden.
das spielzeug: Was muss passieren?
Steffen Kahnt: Schluss mit dieser Schonbehandlung. Dieselben Regeln, dieselbe Härte, dieselbe Haftung – egal ob der Händler in Köln, München oder Shenzhen sitzt. Wir müssen die Sicherheitsregeln jetzt durchsetzen. Bevor ein Kind an einem unsicheren Produkt stirbt und niemand dafür geradesteht.
das spielzeug: Neben diesen beiden Themen haben Sie zuletzt auch bei der neuen EU-Spielzeugverordnung für den Handel gekämpft. Warum war das so wichtig?
Steffen Kahnt: Weil ursprünglich nur eine relativ kurze Übergangsfrist für den Handel vorgesehen war. In der Praxis hätte das bedeutet: Hätten Händler zwei Jahre nach dem Stichtag noch Ware nach altem Recht im Regal oder Lager gehabt, hätten sie diese nicht mehr verkaufen dürfen.
das spielzeug: Was hätte das konkret bedeutet?
Steffen Kahnt: Die Händler hätten dann schätzungsweise ein Drittel ihres Spielwarensortiments vernichten müssen. Völlig unklar wäre dabei aber, welcher Teil des Spielzeugs mit der neuen Regulierung wirklich nicht mehr konform wäre.
das spielzeug: Das heißt?
Steffen Kahnt: Neuware im Regal oder Lager, die technisch völlig in Ordnung ist, wäre plötzlich unverkäuflich gewesen, nur weil sie nicht nach der neuen Verordnung produziert worden wäre. Die Ware wäre ja nicht schlecht gewesen. Wir reden hier europaweit von geschätzt mehreren tausend Tonnen neuwertigem Spielzeug, das auf den Müll gewandert wäre. Und das in einer Zeit, in der alle von Nachhaltigkeit reden – das wäre, als würde man öffentlich den Bienen helfen wollen und gleichzeitig heimlich den eigenen Garten mit Gift spritzen.
das spielzeug: Gab es dafür von Anfang an Verständnis in der Politik?
Steffen Kahnt: Nein, überhaupt nicht. Anfangs herrschte fast völliges Unverständnis dafür, was eine zu kurze Übergangsfrist in der Praxis bedeutet hätte. Wir mussten diesen Kampf hart führen, mit vielen Gesprächen und Beispielen, bis klar war: Das ist keine theoretische Gefahr, sondern hätte jeden Händler getroffen.
das spielzeug: Und was hätte das organisatorisch für die Händler bedeutet?
Steffen Kahnt: Man hätte eine Monsterbürokratie aufbauen müssen: Klebepunkte auf jedes Produkt, Datensysteme für die Erfassung, Austauschlisten zwischen Filialen und Zentrale, Gutschriften an die Handelskunden, wenn Ware aus dem Sortiment genommen werden muss – und das alles ohne klare Abgrenzung, weil ein Händler ein altes und ein neues Spielzeug äußerlich nicht unterscheiden kann. Es wäre grotesk gewesen, wenn Händler neuwertiges Spielzeug ausgelistet und vernichtet hätten, nur weil sie nicht gewusst hätten, wie sie mit dieser Verordnung umgehen sollen.
das spielzeug: Wie haben Sie sich für den Handel eingesetzt?
Steffen Kahnt: Wir haben mit den Berichterstattern des Europäischen Parlaments gesprochen, mit dem Wirtschaftsministerium diskutiert und unser Netzwerk befreundeter Verbände in Europa aktiviert. Mein großer Dank geht deshalb auch an die Kollegen beim DVSI, Eurocommerce und beim HDE. Das war wirklich eine tolle Gemeinschaftsleistung. Wir haben klargemacht: Eine zu kurze Übergangsfrist ist nicht nur unpraktisch – sie wäre ruinös. Händler und Industrie brauchen ausreichend Zeit, um bestehende Lagerbestände abzuverkaufen, ohne dass sichere Produkte im Müll landen.
das spielzeug: Was kam am Ende dabei heraus?
Steffen Kahnt: Wir haben für den Handel buchstäblich die Kuh vom Eis geholt! Jetzt gibt es eine klare und praxisgerechte Lösung: Ab Inkrafttreten gilt eine Übergangsfrist von 54 Monaten – also viereinhalb Jahren. In dieser Zeit darf die Industrie weiter nach den bisherigen Regeln produzieren und Spielzeug in Verkehr bringen. Und der Handel darf diese Ware ohne Zeitlimit abverkaufen.
das spielzeug: Und was bedeutet das für Ihre Mitglieder?
Steffen Kahnt: Das ist bares Geld wert. Sie sparen immense Kosten, vermeiden tonnenweise unnötigen Müll und müssen keine Lagerbestände vernichten. V. a. ersparen wir ihnen eine Heidenbürokratie, die am Ende mehr Kapazitäten verschlingen würde als so manches Weihnachtsgeschäft.
das spielzeug: Heißt das, die Mitgliedschaft im BVS beziehungsweise im Einzelhandelsverband rechnet sich allein schon durch diesen Erfolg?
Steffen Kahnt: Wer Mitglied ist, hat diesen Vorteil schon mehrfach wieder reingeholt. Wer noch nicht Mitglied ist, sollte sich ehrlich fragen, ob es richtig ist, von der Arbeit und den Erfolgen der Verbände zu profitieren, ohne selbst einen Beitrag zu leisten. Unsere Mitglieder wissen: Ihr Beitrag ist kein Kostenpunkt, sondern eine Investition und sie trägt dazu bei, dass wir auch künftig solche Erfolge für die gesamte Branche durchsetzen können.