23.11.18 – EHI

Vorsicht, Langfinger!

Ob gestohlen, verbummelt oder kaputt – die Inventurdifferenzen im Handel summierten sich 2017 auf 4,1 Mrd. € und liegen damit leicht über denen vom Vorjahr, wie aus der EHI-Studie „Inventurdifferenzen 2018“ hervorgeht. Für den Handel ist Ladendiebstahl weder ein neues noch ein rasant wachsendes Problem – dafür ein konstantes.

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Um Ladendiebstähle so gering wie möglich zu halten, investieren Einzelhändler viel Geld. © WS-Design/stock.adobe.com

 
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Die Ursachen für Inventurdifferenzen sind vielfältig und haben sich 2017 auf 4,1 Mrd. € summiert. © EHI-Studie Inventurdifferenzen 2018

 
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Trotz Warensicherungen und Personalschulungen klaut jeder Bundesbürger im Jahr durchschnittlich Waren im Wert von 28 €. Während der Verlustwert im Vergleich zum Vorjahr anstieg, sank die Zahl der angezeigten Ladendiebstähle. 3,5 Mrd. € der Verluste verantworten Kunden, Mitarbeiter, Lieferanten und Servicekräfte. Den Großteil davon verursachen mit 2,28 Mrd. € unehrliche Kunden. Den zweiten Platz im Diebstahlranking nehmen die Mitarbeiter mit rund 850 Mio. € ein und Servicekräfte entwenden Waren im Wert von etwa 320 Mio. €. Ein weiterer Posten der Inventurdifferenzen – 660 Mio. € – entsteht wegen organisatorischer Mängel wie falsche Produktauszeichnungen.

Sicherheit kostet Einzelhandel Milliarden

In den vergangenen beiden Jahren wendeten Unternehmen rund 0,32 % ihres Umsatzes auf, um Ladendiebstähle zu verhindern. Was auf den ersten Blick wenig aussieht, bedeutet in absoluten Zahlen jedoch Gesamtkosten in Milliardenhöhe. Jedes fünfte Unternehmen hat dieses Budget für 2018 weiter aufgestockt. Für über 80 % der befragten Händler haben abschreckende, für den Verbraucher sichtbare Maßnahmen wie Kameraüberwachung Priorität. Laut Stefan Hertel, Sprecher beim Handelsverband Deutschland, habe sich zwischen Dieben und Einzelhandel längst eine Art gegenseitiges Hochrüsten eingestellt: „Der Aufwand der Einzelhändler bei der Bekämpfung des Ladendiebstahls erhöht sich regelmäßig. Insbesondere professionelle Täter reagieren nämlich schnell auf neue Präventionsmaßnahmen des Einzelhandels“, so Hertel. Um Kunden nicht übermäßig zu belasten bzw. um sie nicht vom Kauf abzuschrecken, setzen Einzelhändler in erster Linie auf Maßnahmen, die Konsumenten nicht direkt spüren – darunter Videoüberwachung, Mitarbeiterschulungen und Datenauswertung. Diese unverzichtbaren, aber sehr kostenintensiven Schutzmaßnahmen wirken sich dann leider ebenfalls erhöhend auf die Verbraucherpreise aus.

Angezeigte Ladendiebstähle rückläufig

Die Zahl der einfachen Ladendiebstähle hat sich seit 20 Jahren mehr als halbiert und 2017 sank der Wert um weitere 6,63 %. „Zum Teil liegt der Rückgang an der längeren Öffnung der Geschäfte bei gleichzeitig geringerer Personalpräsenz. Die Ladenzeiten wurden ausgedehnt – nicht aber der Einsatz der Kaufhausdetektive angepasst“, erklärt Frank Horst, Leiter Inventurdifferenzen und Sicherheit beim Kölner Forschungsinstitut EHI. Allerdings sieht Horst die rückläufigen Zahlen lediglich auf dem Papier. Man müsse von einer Dunkelziffer von 98 % ausgehen.

Erstmals seit 2007 ging auch die Zahl der angezeigten schweren Ladendiebstähle um 6,57 % zurück. Hierzu gehören u. a. Delikte, bei denen Sicherheitsetiketten entfernt oder verschlossene Vitrinen aufgebrochen werden. Mit 21.000 Anzeigen im letzten Jahr ist der Tatbestand aber noch immer auf einem sehr hohen Niveau. Allerdings wird hierbei von einer nicht angezeigten Dunkelziffer von über 98 % ausgegangen, weswegen ein Rückbezug von weniger Anzeigen auf weniger Diebereien nicht möglich ist. Auf jeden angezeigten Täter kommen rund 65 Ladendiebe, die unerkannt bleiben. Die Händler gaben an, dass die Diebstähle nach wie vor stark in organisierter Form durchgeführt werden. Die Täter gehen häufig in Gruppen mit gezielter Aufgabenverteilung vor. Nach EHI-Schätzungen entfällt wertmäßig rund ein Viertel aller Ladendiebstähle auf Banden und organisierte Kriminalität. „Deutschland ist für Diebesbanden ein attraktiver Markt“, so Frank Horst und ergänzt: „Wenn jemand geschnappt wird, kommt es allenfalls zu einer erkennungsdienstlichen Behandlung, und am nächsten Tag kann er seiner Beschäftigung weiter nachgehen.“ Die nach Meinung der Branche zu liberale Gesetzgebung bezeichnet der Experte als „größte Herausforderung für die Händler in Sachen Warenschwund“.