08.03.24 – Dr. Jerome Honerkamp und Tilman Reiser

Kunden-, Daten- und KI-Zentrierung in der Spielwarenbranche

Die Spielwarenmesse in Nürnberg zeigte eine Branche, die einem fundamentalen Wandel unterliegt. Unternehmen wie Playmobil setzen auf Kostensenkungen, während andere, wie Ravensburger investieren und Rekordergebnisse verzeichnen. Obwohl Einsparpotenziale vorliegen – selbst bei den Erfolgreichen –, gibt es auch großes Wachstumspotenzial durch verstärkte Kunden-, Daten- und KI-Zentrierung. Die Wachstumspotenziale werden nun anhand des 7-Frameworks erläutert:

Reiser.jpeg

Tilman Reiser, KI-Spezialist © Dr. Wieselhuber & Partner

 
Dr-Jerome-Honerkamp.jpeg

Dr. Jerome Honerkamp, Leiter Konsumgüter und Handel © Dr. Wieselhuber & Partner

 

Produkt:

Die Produktentwicklung und -bestellung in der Spielwarenindustrie ist sehr komplex, geprägt von hoher Frequenz an Produktadaptionen sowie Innovationen. Hersteller tauschen bzw. erweitern das Produktportfolio jährlich um durchschnittlich 20-50 %. Hinzu kommt eine Vielzahl von Fertigungsschritten und Materialien aus verschiedenen Ländern. Resultat: lange Go-to-Market-Zeiten bis zu 18 Monaten.

KI bietet hier die Chance, durch die Analyse von historischen Bestell- und Abverkaufszahlen sowie digitalen Signalen (aus Social Media und E-Commerce) Trends zu prognostizieren und die Produktentwicklung inklusive entsprechender Vorbestellungen gezielt zu steuern. Wenngleich die anstehenden CSRD/ESRS-Richtlinien nicht für alle Hersteller in der Branche verpflichtend werden, so steigen für alle Produzenten Anfragen und Anforderungen seitens Industrie- und Handelspartner. Ein Baukastensystem bereits zertifizierter/nachverfolgbarer Artikel, das schon ab dem Designprozess angewendet wird, ist eine Chance, sich vom Markt zu differenzieren und die Time-to-Market zu reduzieren. Mittels KI lassen sich Produkte auch gänzlich neu designen.

Preis:

Die Preisgestaltung in der Spielwarenbranche ist erstaunlich heterogen – je nachdem, ob Produkte im Massenmarkt oder in lukrativen Nischen positioniert sind. Die Preissetzung erfolgt oft pragmatisch und mit einem Cost-Plus-Ansatz: basierend auf eigenen Kosten werden heuristische Preisaufschläge vorgenommen. Wer seine Umsatzpotenziale jedoch ausschöpfen will, sollte auf Data-Driven Pricing mit Pricing-Engines setzen. Voraussetzung: der Zugang zu detaillierten Verkaufs- und Kundendaten, die oftmals nicht vorliegen und eingekauft oder generiert werden müssen. Weiteres ungenutztes Potenzial für echte Innovationen oder Spezialanfertigungen, wie lebensechte Tiere für Zoos oder Museen, bietet Value-Based Pricing. Damit lässt sich ein Preispremium realisieren, das Einzigartigkeit und speziellen Nutzen des Produkts für den Kunden widerspiegelt.

Promotion/Kommunikation:

Mittels Kommunikation gelangt man an das „Relevant Set“ der Kunden. Die enge Verzahnung von Unterhaltungsindustrie und Spielwarenbranche unterstreicht die Bedeutung von gutem Content Marketing. Für viele Produkte der Spielwarenindustrie (>10,000 SKUs sind nicht unüblich) steht jedoch kein Kommunikations-Budget zur Verfügung. Häufig werden aus diesem Grund die Dachmarke oder spezifische Familienmarken gestärkt, statt einzelne Produktmarken zu bewerben. Durch die Sammlung, Aufbereitung und Nutzung von Kundendaten kann die Kommunikation jedoch spezifischer gestaltet und mittels generativer KI-Inhalte personalisiert und Kampagnen gezielt auf spezifische Bedürfnisse und Vorlieben der Zielgruppen abgestimmt werden.

Place (Vertrieb):

Die Pandemie hat die Verschiebung im Vertriebskanalmix intensiviert: Hersteller setzten zunehmend auf Online-Vertrieb – über Plattformen wie Amazon oder mit eigenen Webshops. In einer B2B2C geprägten Branche bietet der eigene D2C-Vertrieb jedoch die Möglichkeit, Konsumenten besser zu verstehen und ggf. darüber neue Konsumentengruppen zu identifizieren und anzusprechen. Durch neue digitale Infotainment-Verkaufsformate wie Live-Shopping lassen sich neue Zielgruppen erschließen, Abverkäufe steigern und wertvolle Kundendaten sammeln. Für Hersteller ist es entscheidend, ihre Vertriebsstrategien flexibel zu gestalten und die Potenziale des E-Commerce voll auszuschöpfen, während gleichzeitig die Präsenz in anderen stationären Vertriebskanälen gestärkt wird. Weitere Option: die internationale Expansion. Eine solide Expansionsstrategie mit klar definierten Distributoren- und Hauptquartier-Vertriebsaktivitäten optimiert die selektive Zusammenarbeit mit Distributoren.

People & Process:

Bereiche, die Spezialwissen für die Entwicklung und Fertigung von Premiumspielzeug erfordern, trifft der Fachkräftemangel hart. Der Einsatz von KI-gestützten Tools kann effektives Recruiting und Retention signifikant unterstützen, indem Talente identifiziert, angezogen und langfristig an das Unternehmen gebunden werden. KI-getriebene Weiterbildungs- und Entwicklungsprogramme unterstützen Mitarbeiter, ihre Fähigkeiten zu erweitern und sich den schnell ändernden Anforderungen der Branche anzupassen – Produktivität, Mitarbeiterzufriedenheit und -bindung steigen. Parallel dazu eröffnen die Digitalisierung und Automatisierung von Geschäftsprozessen neue Effizienzpotenziale. In Design, Produktion, Kundenservice können Prozesse optimiert werden, um schneller auf Marktveränderungen zu reagieren. Besonders in Logistik und beim Supply Chain Management lassen sich durch KI, Lagerbestände besser steuern, Überproduktion vermeiden und Kundenzufriedenheit durch schnelleren Versand und bessere Verfügbarkeit erhöhen. Die Kombination aus fortschrittlicher Technologie und fokussiertem Ansatz auf das Human Capital ermöglicht es der Branche, agiler, effizienter und wettbewerbsfähiger zu werden.

Physical Evidence/POS:

Der ursprüngliche Point of Sale (POS) existiert nicht mehr. Der stationäre Handel hat heute die Aufgabe, Erlebniswelten zu transportieren, Impulskäufe zu initiieren und Produkte zu erklären. Die Ladengestaltung darf sich also nicht mehr nur auf den Abverkauf konzentrieren, sondern muss vielmehr in Richtung Infotainment gehen. Augmented Reality oder Digital Signage können genutzt werden, um eine fesselnde Customer Journey zu kreieren. Händler und Hersteller müssen sich als Teil eines funktionierenden Ökosystems begreifen, in dem Technologie und Kreativität zusammenfließen, um den Kunden nicht nur zu informieren, sondern auch zu begeistern. Die Implementierung moderner Technik sollte darauf abzielen, ein immersives Einkaufserlebnis zu schaffen, das die physische Präsenz der Produkte mit digitaler Interaktivität verbindet. Dadurch wird der stationäre Handel zu einem Ort, an dem Kunden nicht nur Produkte kaufen, sondern Marken und ihre Geschichten erleben können.

Die Spielwarenmesse in Nürnberg hat einmal mehr die Vitalität und das Innovationspotenzial der Branche bewiesen – im Rahmen einer umfassenden Transformation. Während die Messetore schließen, kann man voller Optimismus auf chancenreiche, neue Horizonte in 2024 blicken.

Weitere Artikel zu: