13.05.24 – Billig-Marktplätze
Über die Konkurrenz aus Fernost
Billig-Marktplätze aus Fernost locken mit Kampfpreisen. Laut dem Finanzportal block-builders.de haben 26 % der Deutschen bereits einmal bei Temu bestellt. Sie erhielten mitunter allerdings besorgniserregend schlechte und teils gesundheitsgefährdende Produkte – gerade im Bereich der Spielwaren. Die Politik scheint zu träge, um dem Treiben entgegenzuwirken. Verbände fordern gezieltes Handeln.
Im vergangenen Februar haben wir bereits auf dasspielzeug.de über chinesische Billig-Marktplätze berichtet. Aufhänger war zunächst eine Untersuchung des europäischen Spielwarenverbands Toy Industries of Europe (TIE). 19 Spielzeuge kaufte TIE auf dem 2022 gegründeten Online-Marktplatz Temu und ließ sie von einem unabhängigen, akkreditierten Testlabor prüfen. Das alarmierende Ergebnis: Keines der im Testkauf erworbenen Spielzeuge entsprach den anzuwendenden Spielzeugnormen der EN71-Reihe. 18 von ihnen stellten sogar ein Sicherheitsrisiko für Kinder dar. Sie könnten sich beim Spielen Schnitt- und Stichwunden zufügen, ersticken, strangulieren und sind chemischen Risiken ausgesetzt. Das Testlabor stellte beispielsweise bei einer untersuchten Babyrassel scharfe Kanten an den Metallglöckchen fest, an denen Kinder sich schneiden könnten, und bemerkten Kleinteile, die leicht verschluckt werden können. Bei einem Spielzeug mit Schleim lag der Gehalt von Bor 11-mal höher als der gesetzliche Grenzwert.
Bereits 2019 hatte der Spielwaren Verband Schweiz (SVS) Spielwaren von den Online-Marktplätzen Aliexpress und Wish im Prüflabor SQTS untersuchen lassen. 2023 folgten 18 weitere von Temu und Shein. Die Ergebnisse gleichen sich: gefälschte CE-Zeichen, leicht verschluckbare Kleinteile, Belastung mit Schwermetallen, erhöhter Gehalt von Weichmachern. Beim letzten Test haben nur drei Produkte die in der Schweiz geltenden Regeln und Vorgaben eingehalten.
Wie funktionieren die Plattformen überhaupt?
Aber wie funktionieren Billig-Marktplätze wie Temu überhaupt? Das weiß Christoph Tripp. Der Professor für Distributions- und Handelslogistik an der Technischen Hochschule Nürnberg bewegt sich sehr intensiv in der E-Commerce-Welt und sprach im empfehlenswerten Podcast von „Zukunft des Einkaufens“ mit Frank Rehme über die Praktiken der chinesischen Onlinehändler. Laut seinen Einschätzungen gibt es zwölf bis 15 Fulfillment-Center in China, die im ganzen Land verteilt sind und von Logistikern im Auftrag von Temu betrieben werden. Sie nehmen die Ware der einzelnen Händler an, verpacken sie, machen sie versandfertig und schicken sie über Regionalflughäfen nach Europa. Finanziert wird das über Provisionseinnahmen. Auffällig sei, dass die Waren bei uns nicht etwa an großen Flughäfen wie Frankfurt oder München ankommen, sondern an den kleinen, von denen man vermutet, dass der Zoll die Pakete schon aufgrund der dort vorhandenen Ressourcen nicht so intensiv kontrollieren kann. Christoph Tripp berichtet beispielsweise von Horden chinesischer Online-Bestellungen am Flughafen Lüttich, deren Kontrollen das vorhandene Personal nicht bewältigen kann. Es scheint, als wäre die Wahl des Zielflughafens eine bewusste Entscheidung. Weil die Hersteller ihre Waren direkt an die Verbraucher schicken, werden alle Mittelsmänner im Prinzip ausgeschaltet. Hinzu kommt die Zollfreigrenze von 150 €. Bis zu einem Kaufpreis von diesem Betrag bedürfen Sendungen keiner weiteren Zollabwicklung und es fallen keine Zollgebühren an. Auch deshalb sind die Produkte bei Temu, Shein und Co. so billig.
Die Leidtragenden sind letztlich die Verbraucher, die sich mit Waren konfrontiert sehen, bei denen niemand geprüft hat, ob sie sicher und gesundheitsverträglich sind. Das sieht auch der Handelsverband Deutschland (HDE) so, der hinsichtlich zahlreicher Regelverstöße der Billig-Marktplätze die Durchsetzung von Gesetzen und Regeln auch für Importe aus China fordert. Deutsche Unternehmen, so der stellvertretende HDE-Hauptgeschäftsführer Stephan Tromp, würden viel Geld investieren, um Umwelt- und Verbraucherschutzauflagen zu erfüllen und mit ihren Steuerzahlungen das Gemeinwesen finanzieren. Billig-Plattformen hingegen würden massenhaft Waren auf unseren Markt bringen, die gegen sämtliche Vorgaben verstoßen. Ein fairer Wettbewerb sei so nicht möglich. Der HDE fordert deshalb gründlichere Kontrollen und schlägt eine digitale Plattform vor, bei der jedes Paket angemeldet werden muss. Auf diese Weise könnten Sendungen aussortiert werden, die von Handelsunternehmen stammen, die sich wiederholt nicht an Gesetze und Auflagen halten.
Regeln gelten nur in der EU
Das Problem bislang: Die Drittanbieter, die über die genannten Plattformen verkaufen, haben ihren Sitz außerhalb der EU und können somit nicht für die Sicherheit der Spielwaren verantwortlich gemacht werden. Dabei gelten gerade für unsere Branche strengere Vorschriften als für andere Konsumgüter. Abhilfe hätte die EU-Spielzeugverordnung schaffen können, die in erster Lesung vom Europäischen Parlament mit großer Mehrheit angenommen wurde. Sie enthält zwar strengere Vorschriften zur Produktsicherheit und einen Vorschlag für einen Produktpass, allerdings nur für in der EU gefertigte Spielwaren. Kritik dafür kommt vom Deutschen Verband der Spielwarenindustrie (DVSI) und TIE, die sich ein stärkeres Vorgehen gegenüber unseriösen Verkäufern auf Online-Marktplätzen sowie eine Stärkung der Marktüberwachungsbehörden gewünscht hätten. Sie fordern konkrete Gesetzesänderungen, um die Regelungslücke für Verkäufer zu schließen, die außerhalb der EU sitzen. Aus Sicht der Verbände sollte der Online-Marktplatz als Verantwortlicher für die Sicherheit des Spielzeugs gelten, wenn es keinen in der EU ansässigen Wirtschaftsakteur gibt. Außerdem sollte der Zoll mit den nötigen Ressourcen ausgestattet werden, um Regelverstöße aufdecken und auch kleine Sendungen mit geringem Warenwert kontrollieren zu können. Nationale Aufsichtsbehörden sollten die rechtlichen Möglichkeiten prüfen, um Websites zu sperren, die wiederholt den Verkauf gefährlicher Spielwaren ermöglichen. Außerdem sollten die Bestimmungen aus dem Gesetz über Digitale Dienste zur Rückverfolgbarkeit von Händlern (KYBC) durchgesetzt werden und Online-Plattformen verpflichtet werden, die Angaben von Händlern zu überprüfen.
Händlern hierzulande empfiehlt Christoph Tripp, nicht drauf zu hoffen, dass die Politik den Praktiken von Temu und Co. einen starken Riegel vorschiebt. Das erscheine schon allein deshalb unrealistisch, weil die Geschwindigkeit unserer Veränderungen der Regularien nur ansatzweise mithalten könne mit der Veränderung der Geschäftsmodelle solcher Spieler. Viel eher könnte man sich fragen, was man selbst davon lernen kann und was man möglicherweise für sein eigenes Geschäftsmodell übernehmen könne. Als Reaktion auf die eingangs erwähnte Studie des TIE hat Temu übrigens alle 19 gekauften Spielzeuge von der Plattform verbannt. Das ist zwar nur ein Tropfen auf den heißen Stein, aber immerhin.
Was Händler Michael Schäfer von Temu und Co. hält, ob er Auswirkungen auf sein Geschäft befürchtet und was er sich von Politik und Behörden wünscht, lesen Sie hier.