07.11.18 – Gastbeitrag Frank Rehme

„Abwarten ist keine Alternative“

„Es gibt viel zu tun, packen wir es an!" Diesen Werbespot von Esso aus den 70ern kennen die älteren Semester unter uns noch zu gut. Auf die kleinen stationären Händler übertragen, könnte man beizeiten den Eindruck gewinnen, dass der Slogan dort eher „Es gibt viel zu tun, warten wir es ab!" lautet.

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Frank Rehme ist Mitgründer und Autor von www.zukunftdeseinkaufens.de. © Frank Rehme

 

Das klingt böse, aber in vielen Gesprächen stellt man diese Einstellung fest. Dabei gilt in Zeiten des schnellen Wandels ein Grundsatz: Abwarten ist absolut keine Alternative! Was passiert in den nächsten Jahren gerade mit kleineren Formaten? Es wird eine starke Reduzierung der stationären Formate geben. Die Prognosen des Instituts für Handelsforschung IFH belegen, dass bis 2020 ca. 45.000 stationäre Händler nicht überleben werden. Derzeit gibt es rund 410.000 Betriebsstätten. Zieht man die großen Filialisten ab, verbleiben ca. 200.000 kleinere Formate, die ebenso wie die großen vor einer großen Herausforderung stehen. Die Menge der Möglichkeiten ist schier grenzenlos: Multi-, Cross-, Omnichannel, SEO, SEM, CPC, und was noch alles prasselt auf den geneigten Händler ein, sodass er gar keine Entscheidung trifft. Um bei der Fokussierung zu helfen, haben wir vier der wichtigsten Maßnahmen beleuchtet.

 1. Sei kein Händler mehr!

Gesellschaft übersättigt ist mit den üblichen Konsumartikeln. Das Verkaufen in volle Schränke wird immer schwieriger, zudem ist der Kunde anspruchsvoller geworden und verschiebt seinen Konsum verstärkt in Richtung Erlebnis. Der Wettbewerber des stationären Handels ist nicht primär das Internet, sondern sind verstärkt andere Freizeitangebote. Der Kunde entscheidet, wie er seine Zeit verbringt. Daher ist die wichtigste Währung, um die gekämpft werden muss, seine Aufmerksamkeit! Hat man sich am Samstagmorgen erst einmal neben Radfahren und Kletterhalle auf dem Radarschirm des Kunden etabliert, muss man ihm den gleichen Freizeitwert bieten wie diese Konkurrenz. Verkauft wird dann nebenbei – und das bei reduzierter Preissensibilität.

 2. Ohne Daten läuft zukünftig nichts mehr!

Es ist erschreckend, wie viele Händler kein Warenwirtschaftssystem besitzen. Betriebswirtschaftliche Basisaussagen zur Planung, Analyse und Ergebniskontrolle sind nicht möglich. Gerade in inhabergeführten Formaten war das Warenwirtschaftssystem das Gehirn, die Intuition und die Erfahrung des Chefs, was bis dahin auch gut funktioniert hat. Die Zeiten haben sich massiv verändert: Kein Händler kommt an der Digitalisierung vorbei. Ohne Daten funktioniert nichts mehr. Der erste Schritt ist ein Warenwirtschaftssystem, das die Basis für alle weiteren Möglichkeiten darstellt. Es gibt keine Erweiterungen, die nicht auf eine derartige Datenbasis aufsetzen.

 3. Vermeide die Multi-Channel-Falle!

Überall schlagen derzeit Start-ups auf, die den „digital zurückgebliebenen stationären Händlern“ den Weg in die digitale Welt aufzeigen und eine Antwort auf Amazon & Co. sein sollen. Mit viel Investorengeld im Rücken werden lokale Online-Plattformen auf die Beine gestellt, die dann den kleinen Händlern ein Stück Webshop zur Verfügung stellen.

 Die Aufwände werden sehr oft unterschätzt, zudem wird meistens eine Frage nicht gestellt: Warum macht man das überhaupt? Weil alle einen Webshop haben? Oder folgt man nur einem Trend? Was aber in jedem Fall passiert: Man lenkt sich selbst von der Weiterentwicklung seines stationären Formates ab. Also aufpassen: Finde in deiner stationären Welt die Lücke, und sorge dafür, dass du in der digitalen Welt ein Gesicht bekommst. Genau dafür braucht man aber die Daten wie vorher beschrieben.

 4. Das Einzelkämpfertum ist vorbei!

Schauen wir uns mal die typische Innenstadt eines Mittelzentrums an: eine Ansammlung von Filialisten und inhabergeführten Formaten. Meistens sind diese Händler Teil einer ganzen Einkaufsmeile und organisieren sich in Werbegemeinschaften oder temporären Aktionsgemeinschaften. Eigentlich ist so eine Innenstadt nichts anderes als eine große Shopping Mall, richtig? Eigentlich ja, uneigentlich aber nicht, denn so versteht sich die Gemeinschaft nicht. Unterschiedliche Öffnungszeiten, unkoordinierte Kundenansprache oder die übliche Missgunst untereinander sind sehr häufig zu beobachten.

 Innenstadthändler sind eine Schicksalsgemeinschaft, die im gleichen Boot sitzt. Man konkurriert mit Shopping Malls und Outlet Centern. Die gesamtheitliche Shopper-Ansprache entlang der Shopper Journey muss das Ziel jeder Schicksalsgemeinschaft sein. Das bedingt eine enge Zusammenarbeit. Eigene Befindlichkeiten habe darin keinen Platz, man stellt sein eigenes Ego unter das gemeinsame Ziel, dem Shopper einen beeindruckenden Freizeitwert zu bieten. Alles andere machen alle anderen sonst besser!