07.04.25 – Gastbeitrag von Markus Nessler

Faire Deckungsbeiträge für alle in der Vertriebskette

Markenhersteller brauchen den kompetenten Fachhandel (stationär und online) und umgekehrt. Die Spielwarenbranche muss das Geschäftsmodell der Branche aktiv neu gestalten. Zum einen, um die Geschäftsgrundlage ihrer Branchenspieler zu erhalten, zum anderen, um den spielenden Konsumenten weiterhin Qualität und Angebotsvielfalt bieten zu können. Die (kartell-)rechtlich zulässigen Vertriebs- und Bezugskonditionensysteme hierfür sind vorhanden.

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RA Markus Nessler MBA berät qualitäts- und marktführende Unternehmen aus vielen Branchen der Konsum- und Gebrauchsgüterindustrie zu klugen Vertriebs- und Konditionssystemen. Inzwischen hat er über 70 Markenvertriebe von der strategischen Konzeption bis zur Implementierung und Durchsetzung ihrer (selektiven) Vertriebssysteme in Deutschland und der EU begleitet. © Markus Nessler

 

In meiner Kindheit waren die Spielwarengeschäfte in meiner Heimatstadt für mich magische Orte. Was gab es da für tolle Sachen und alle auf meiner Augenhöhe dekoriert. Während meine Mutter in den umliegenden Läden ihre Einkäufe tätigte, durfte ich allein dort hin. Zum Schauen, zum Ausprobieren und um genau zu wissen, welche sachdienlichen Hinweise ich meinen Eltern, Großeltern und sonstiger Verwandtschaft hinsichtlich anstehender Geschenke zu geben hätte.

Heute hat sich das nach meiner Wahrnehmung völlig verändert. Die stationären Spielwarenfachgeschäfte sind zu „Schaufenstern“ des Onlinehandels und der Discounter degradiert worden. Die Endkunden schauen sich die Spielwaren vor Ort im Geschäft an, lassen sich kompetent beraten und kaufen dann (meist deutlich günstiger) eben im Onlinehandel oder beim Discounter. Dies ist möglich, weil die meisten Spielwarenhersteller offensichtlich über keine geeigneten Vertriebsstrategien verfügen. Die Folge sind zwangsläufig ungeeignete Vertriebs- und Bezugskonditionssysteme. Der Niedergang des stationären Spielwarenfachhandels, der teilweise über Generationen von Familien geführt wurde, ist also nicht „gottgegeben“, sondern „menschengemacht“.

Das Problem – Die Bezugskonditionssysteme der Hersteller

Wie viele andere Branchen, deren Produkte sich für den Onlinehandel eignen, ist auch der Spielwarenmarkt eine hart umkämpfte Branche, die überwiegend von etablierten Marken dominiert wird. Aber nicht nur der inhabergeführte stationäre Fachhandel, sondern auch die Spielwarengiganten selbst geraten nach meiner Beobachtung ins Straucheln.

Wenn es z. B. einem hochinnovativen Unternehmen wie der Otto Group nicht gelingt, seine Tochter Mytoys im „wettbewerbsintensiven und margenschwachen Spielwarenmarkt“ mit „solider wirtschaftlicher Performance“ und „nachhaltiger Profitabilität“ überlebensfähig zu positionieren, dann scheint es ein grundsätzliches Problem in der Branche zu geben.

Dieses „grundsätzliche Problem“ ist in der Regel in den Bezugskonditionssystemen der Markenhersteller zu finden. Dort insbesondere in zu hohen rechnungsabzugsfähigen Rabatten und umsatzabhängigen (nachlaufenden) Boni. Kommt dann noch eine unkoordinierte Vertriebssteuerung und (zu) hohe unverbindliche Preisempfehlung hinzu, sind ruinösen Streichpreisaktionen Tür und Tor geöffnet.

Es braucht einen neuen Branchenkonsens

Die Spielwarenmesse 2025 hat es erneut bestätigt. Die Zeitenwende ist in vollem Gange. Nicht nur die Spielerlebnisse (analog, hybrid, digital) und Zielgruppen verändern sich. Auch die Customer Journey (wie wird das Produkt Teil der Kaufentscheidung des Endkunden) und die Product Journey (wie beschafft der Endkunde und wie gelangt das Produkt betriebsbereit vom Warenausgang des Herstellers zur Verwendungsstelle des Endkunden) sind durchlässig geworden.

Die Marktgefüge verschieben sich. Alte Befindlichkeiten und Besitzstände müssen daher in Frage gestellt werden. Letztlich geht es um die Quadratur des Kreises: Wie schaffen es Markenartikler, ihre vertrieblichen Wachstumsziele zu erreichen, ohne die Preiswürdigkeit ihrer Markenprodukte sowie die Existenzgrundlage des (stationären) Fachhandels existenziell zu gefährden? Spielwaren eröffnen den Raum für persönliche Erlebnisse wie Emotionen, Gemeinschaft, Kreativität, Entspannung und Freude. Der persönliche Kontakt im stationären Handel macht dies für den Endkunden im wahrsten Sinne des Wortes begreifbar. Für Verbraucher ist dies ein entscheidender Faktor bei der Beurteilung der „Preiswürdigkeit“ von Produkten. Dies wäre ein erster Ansatzpunkt.

Fazit: Markenhersteller und Fachhandel (online und stationär) brauchen einen neuen Branchenkonsens darüber, wie die Vermarktung hochwertiger Spielwaren neu zu organisieren ist, wer in der Vertriebskette welche Leistung/Funktion erbringt und wie die dabei erzielbaren Margen verteilt und die übernommenen Funktionen fair vergütet werden. Dabei geht es ausdrücklich nicht um kartellrechtswidrige Preisabsprachen, sondern um eine ‚Neugestaltung des Geschäftsmodells der Distributionskette in der Spielwarenbranche an sich‘. Notwendig dafür ist frisches Denken und ein konstruktiver Dialog zwischen Vertretern der relevanten Markenhersteller und der Fachhändler. Die (kartell-)rechtlich zulässigen Vertriebs- und Bezugskonditionensysteme hierfür sind jedenfalls vorhanden.