18.09.19
Emotionen als Schlüssel zur Kundenbindung
Die Spielregeln im stationären Handel haben sich geändert. Wo gestern noch volle Regale, guter Preis und Lage, Lage, Lage das Nonplusultra im Verkauf waren, sind sie im Online-Zeitalter der finanzielle Klotz am Bein. Worauf es heute ankommt, zeigt das Dossier „The Game has changed: Neue Wertetreiber im stationären Handel“ von Dr. Wieselhuber & Partner (W&P).
Neue Filialen galten als Wertetreiber, denn sie brachten mehr Umsatz, dadurch bessere Konditionen beim Einkauf und weniger Logistik- und Verwaltungskosten. Das ist heute nicht mehr so. Der Preiskampf findet Online statt, die Besucherfrequenz geht selbst in den besten Einkaufslagen zurück. Online-Anbieter kennen ihre Kunden aufgrund zahlreicher gespeicherter Daten sehr viel genauer als die stationären Händler und können dank ständig aktualisiertem Online-Auftritt und technischen Hilfsmitteln wie Alexa und Amazon Dash den Kunden gezielt abfangen. Algorithmen entscheiden darüber, welche Produkte den Weg zum Käufer finden. Auch die Werbung hat sich verändert. Klassiche Printmedien verlieren ihre Anteile zugunsten der Online-Werbung und der Interaktion mit Kunden in sozialen Netzwerken. Aus der alten Sender-Empfänger-Beziehung ist längst eine Kakophonie aus Empfehlern, Fans, Influencern, Bewertern, Testern und Kritikern geworden.
Vom Warenlager zum Point of Emotion
Kundenbefragungen zeigen laut dem Dossier von Dr. Wieselhuber und Partner (W&P), dass der Aufwand eines stationären Besuches sich dennoch für viele Menschen lohnt. Die Konsumenten wollen von Menschen kaufen, Produkte anfassen und ausprobieren, fachlich kompetent beraten werden und wahrhaftiges Einkaufen „erleben“ und am besten die Waren sofort mit nach Hause nehmen. Wie sich zeigt, erwarten Kunden heute deutlich mehr vom stationären Einkauf als lediglich die Bereitstellung eines großen Warenangebotes zu günstigen Preisen. Sie wollen ein emotionales Einkaufserlebnis. Emotionen können durch inspirierende Aufbauten, Anwendungsbeispiele oder einfach nur durch die Möglichkeit des Anfassens und Ausprobierens geweckt werden. Auch Events, wie z. B. Influencer-Besuche, Schulungen oder Themen-Workshops, sprechen Kunden emotional an. Sonderwünsche sollen als Kundenbindungschancen verstanden werden. Dazu gehören ein schneller und individueller Service (z. B. Geräte vor Ort installieren und konfigurieren) oder Personalisierung von Produkten. Die Kaufentscheidung hängt auch von der Qualität des Personals ab – der Preis tritt bei guten Verkäufern in den Hintergrund.
Den Kunden kennen
Wer die Customer Journey genau kennt und die Prozesse dahinter beherrscht, kann sich bei der Frage, warum der Kunde überhaupt stationär kaufen soll, den entscheidenden Wettbewerbsvorsprung herausarbeiten. Die Customer Journey setzt sich heute in der Regel aus einer Reihe von On- und Offline-Erlebnissen zusammen. Diese Berührungspunkte mit dem Produkt oder der Marke zu kennen, wird zum entscheidenden Erfolgsfaktor. Die drei Momente der Wahrheit:
– Erwägung: Der erste Eindruck ist der wichtigste – schafft die Marke bzw. das Produkt den Sprung ins Relevant Set, sprich weckt es die Aufmerksamkeit?
– Kaufakt: Hier wird es schmerzhaft für den Kunden, der häufig Online noch einmal vergleicht, bevor er sich entscheidet.
– Verwendung, bzw. die Bewertung: Hält das Produkt, was es verspricht? Die Erfahrungen werden geteilt, Produkte bewertet. Im besten Fall empfehlen die Kunden das Produkt bzw. die Marke aktiv.
Daten als Wertetreiber
Die immateriellen Güter, sprich der Zugang zu Kundendaten und ihre effiziente Analyse bilden die Grundlage für jegliche Form der Personalisierung und Individualisierung von Angeboten und Kommunikation. Nicht jeder Einzelhändler muss gleich zum IT-Experten werden. Es gibt Netzwerke und externe Partner und Plattformen, die Hilfestellungen und Lösungen bieten.
Bei der Thematik des Omnichannels, dem „kanalübergreifenden Geschäftsmodell zur Verbesserung des Kundenerfahrungsmanagements“ (Wikipedia) sei ein evolutionärer Prozess sinnvoller als chaotisches Vorgehen, befinden die Berater. An erster Stelle steht ein optmierter Online-Auftritt, gefolgt von einem größeren Angebot, Teilnahme an Online-Marktplätzen wie z. B. Amazon, ein eigener Online Katalog, der die stationäre Verfügbarkeit anzeigt, bis hin zu einem eigenen Online-Shop mit unterschiedlichen Bezahlsystemen.
Bei der Umstrukturierung sollte das wichtige Thema Finanzierung bedacht werden. Oberste Prämisse ist dabei der Werterhalt und die Risikominimierung.
Zusammenfassend betonen die Unternehmensberater, dass frei nach Charles Darwin, nicht die intelligenteste oder stärkste Spezies überlebt, sondern diejenige, die sich am ehesten an den Wandel anpassen kann. Für den Einzelhandel heißt dies, schnelles, flexibles und präzises Handeln, neudeutsch „agiles Management“.