01.08.14 – Spielzeugmuseum Nürnberg

Spielerisch auf Augenhöhe

Seit dem 1.4. steht das Spielzeugmuseum Nürnberg unter neuer Leitung. Mit Dr. Karin Falkenberg tritt eine engagierte Medien- und Wirtschaftshistorikern die Nachfolge von Dr. Helmut Schwarz an.

Wir stellen an dieser Stelle die neue Direktorin vor.

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Einen Überblick über viele Jahre Spielzeuggeschichte bieten die einzelnen Vitrinen.

 
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das spielzeug: Haben Sie eine persönliche Affinität zum Thema «Spielzeug»?

Dr. Karin Falkenberg: Natürlich! Jeder Mensch hat vermutlich eine innere Nähe zu Spielzeug, denn der «Homo ludens» entwickelt sich spielend. Es stellt sich die Frage, was man alles als «Spielzeug» begreifen kann, ohne in Beliebigkeit zu verfallen. Meine persönlichen historischen Vorlieben im Spielzeugmuseum sind die Varianten der Arche Noah. Bevor ich ins Spielzeugmuseum wechselte, war ich leitend im Rundfunkmuseum tätig und dort haben mich insbesondere Hörspiele fasziniert. Zum Thema «Arche» passt hervorragend das Kinderhörspiel von Ulrich Hub: «An der Arche um acht», eine Geschichte von zwei Pinguinen, die heimlich einen dritten Pinguin als blinden Passagier mit in die Arche Noah schmuggeln – ein bezauberndes Hörspiel, insbesondere, wenn man vor den Archen im Spielzeugmuseum steht.

das spielzeug: Was macht für Sie persönlich den besonderen Reiz an Ihrer neuen Position aus?

Dr. Karin Falkenberg: Das Spielzeugmuseum zeigt Wirtschafts-, Kultur- und Stadtgeschichte auf eine ansprechende und erfreulicherweise au auch «niederschwellige» Art und Weise. Im Spielzeugmuseum sind sowohl Fachwissen zur Spielzeuggeschichte und herausragenden Objekten wesentlich als auch immer neue Ideen, um Menschen ins Haus zu locken und die Besucher auf Augenhöhe für das Museum, seine Exponate und für Spielzeuggeschichte zu begeistern.

das spielzeug: Welche Sonderausstellungen können Sie derzeit besonders empfehlen?

Dr. Karin Falkenberg: Bis 19. 10. läuft die Sonderausstellung «Die Welt im Spiel. 40 Jahre Playmobil», in der wir zu den aktuellen Entwicklungen der Firma Brandstätter passende historische Spielwelten zeigen. Ab 21. 11. bis 1.3.2015 zeigen wir Spielzeug aus der DDR und ab 17.4.2015 «Notspielzeug», selbstgemachte Spielsachen aus der Nachkriegszeit und den 1950er bis 1960er Jahren. Damals gab es Spielzeug noch nicht in Hülle und Fülle. Die wirtschaftlichen Voraussetzungen in den Familien ließen den Kauf von Spielsachen auch nicht ohne weiteres zu. Dieses «Notspielzeug» wird in der Ausstellung mit Fotografien der jeweiligen Erbauer und Hersteller präsentiert, also der Papas und Mamas, Omas und Opas und sonstigen Verwandten und Freunden, die für ihre Kleinen Spielzeug selbst gebastelt haben. Für dieses Thema sind wir aktuell auf der Suche nach Exponaten und Fotografien und insbesondere nach den dazu gehörenden Geschichten und Kontexten.

das spielzeug: Welche Pläne und Konzepte hegen Sie für die künftige Entwicklung und Ausrichtung?

Dr. Karin Falkenberg: Mein langfristiges Ziel ist, die Dauerausstellung des Spielzeugmuseums sukzessive zu überarbeiten – und zwar nicht im Alleingang als Direktorin, sondern im Rahmen eines partizipatorischen Museumskonzepts, also unter der Beteiligung von Interessierten, Spezialisten, Ehrenamtlichen und Museumsfreunden wie auch Kindern und dem gesamten Team des Hauses. Das ist ein neuer Ansatz, den es meines Wissens in dieser Form selten gegeben hat. Denn ein Museum der Alltagskultur muss inhaltlich und emotional eng mit den Menschen der Stadt verbunden sein. Ein Ziel der geplanten Umgestaltung ist, dass den Besuchern deutlich wird, warum gerade in Nürnberg Spielzeuggeschichte eine so bedeutende Rolle einnimmt. Ein weiteres Ziel ist, alltägliche und lebensweltliche, personenbezogene und emotionale Aspekte im Haus zu verankern – neben aller Wissenschaft.

das spielzeug: Inwieweit hat sich das Spielverhalten im Lauf der vergangenen 100 Jahre verändert?

Dr. Karin Falkenberg: Mit der Spielzeugproduktion verfolgen Erwachsene Ziele, seien es finanzielle oder erzieherische. Spielzeug ist nie unschuldig. Kinder können sich den Prinzipien unserer Gesellschaft nie entziehen – das schaffen ja schon Erwachsene kaum. Viele Kinder in unserer heutigen Konsumgesellschaft – keinesfalls alle – leben in einer Fülle von Spielsachen und mit diesen sind stets neue Wünsche und Bedürfnisse verknüpft. Vor hundert Jahren, vor siebzig Jahren, vor fünfzig Jahren, auch noch vor dreißig Jahren spielten Kinder mit weniger kommerziellen Objekten als heute, egal ob in den Großstädten oder auf dem Land. Noch Mitte des letzten Jahrhunderts spielten Kinder oft auf der Straße, denn die Straßen waren nicht voller Autos und Kinderzimmer setzten sich erst sukzessive in den Neubauten durch. Das Spielverhalten wird sich, wie unsere gesamte Kultur, immer weiter verändern.

das spielzeug: Ist zu befürchten, dass durch Computer, Internet & Co. der Nachwuchs das Spielen «verlernt»?

Dr. Karin Falkenberg: Naja, in neuen Medien lauern immer Gefahren und Chancen zugleich. Als ab 1954 Fernsehen in Deutschland populärer wurde, gab es zahlreiche kritische Stimmen zu den negativen Einflüssen auf die Entwicklung der Kinder. Vergleichbar ist die Situation heute: Computer, Internet, Web 2.0 und die bewegungsbasierte Programmierung ändern unsere menschlichen Verhaltensweisen wie auch die Spielrituale. Was früher selbstgebaute Spielzeugwelten auf den Kinderzimmerböden waren, sind heute dreidimensional konstruierte Welten in digitalen Geräten. Trotz des Suchtpotenzials, das Computerspielen innewohnt, stecken großartige Möglichkeiten in diesen Erfindungen: Internationaler, fremdsprachiger Austausch beim Spielen für Kinder und Jugendliche, Bewegung und Förderung von Fähigkeiten, von denen mancher Erwachsene nur träumen kann. Spielen ist eine menschliche Grundkonstante: Gespielt wird immer. Nur womit und auf welche Art und Weise – das spiegelt die gesellschaftliche, wirtschaftliche, technische, politische und emotionale Entwicklung in unserer Kultur wider. Und das geschieht hier wie auch in anderen Kulturen.

Die Medien- und Wirtschaftshistorikerin Dr. habil. Karin Falkenberg (* in Nürnberg) ist seit dem 1.4. Leiterin des Spielzeugmuseums in Nürnberg. Nach einem Studium von Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Medienwissenschaften und Europäische Ethnologie/Volkskunde an den Universitäten Marburg, Wien und München war die Absolventin Falkenberg-Mitarbeiterin in der Kulturredaktion des Bayerischen Rundfunks in München, Lektorin im Sutton-Verlag Erfurt und wissenschaftliche Mitarbeiterin an den Universitäten Würzburg und Bamberg. Von 2006 bis 2014 war sie stellvertretende bzw. kommissarische Leiterin des Rundfunkmuseums der Stadt Fürth.

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